Neujahrsempfang 2005/2006

Prof. Dr. Rolf Eggert
Präsident der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank

2007 – ATEMPAUSE FÜR DEN FINANZSEKTOR?

Ansprache zum Neujahrsempfang 2007 der Haupt-verwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank am 25. Januar 2007 im Hotel Le Royal Méridien, Hamburg

Dr. Rolf Eggert

 

Sehr geehrter Herr Bürgerschaftspräsident (Röder),
sehr geehrter Herr Landtagspräsident (Bluhm),
sehr geehrte Frau Ministerin Keler,
sehr geehrter Herr Senator (Dr. Freytag),
sehr geehrte Herren Staatsräte (Bonz und Dr. Heller),
sehr geehrte Frau Kreistagspräsidentin (Stein),
sehr geehrte Herren Kreistagspräsidenten (Dr. Born und Prof. Panicke),
sehr geehrte Herren Landräte (Christiansen und Leuchert),

meine Damen und Herren Abgeordnete (Bluhm, Egloff, Müller-Sönksen, Runde, Storjohann), liebe Gäste!

Ich darf Sie herzlich zum Neujahrsempfang der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank begrüßen. Herzlich willkommen heißen möchte ich Herrn Prof. Zeitler, den Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank: Vielen Dank, dass Sie meiner Bitte gefolgt und heute nach Hamburg gekommen sind, um zu uns zu sprechen. Es freut mich sehr, dass heute wieder so viele Vertreter der Kreditwirtschaft anwesend sind. Ganz besonders möchte ich Herrn Dr. Dreyer begrüßen. Er ist dieses Jahr letztmalig in seiner Funktion als Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse hier. Herr Dreyer, ich hoffe aber schon, dass sie trotz dieses ersten Schrittes aus dem Berufsleben auch in den kommenden Jahren unsere Einladung hierher annehmen werden.

Meine Damen und Herren,

Jahreswechsel sind Anlässe für gute Vorsätze. Viele gute Vorsätze werden nach kurzer Zeit wieder gebrochen – das ist eine Binsenweisheit. Manchmal jedoch sind die Umstände so günstig oder das Erfordernis von Veränderungen so drängend, dass ein neues Jahr dann wirklich die Chance zu einem nachhaltigen Wandel mit sich bringt. Ich wünsche uns allen, dass dieses Jahr ein Jahr positiver Entwicklungen und erfolgreichen Handelns wird. Für die Deutsche Bundesbank ist das Jahr 2007 ein Jubiläumsjahr. Wir sind froh, unser 50-jähriges Bestehen in einem Jahr feiern zu können, das wirtschaftlich ebenso erfolgreich zu werden verspricht wie das vergangene. Die konjunkturellen Rahmenbedingungen für 2007 Sperrfrist: 25. Januar 2007, 11 Uhr sind positiv.

Was die Notwendigkeit zu strukturellen Änderungen in Politik und Wirtschaft angeht, bleiben die Herausforderungen auch im neuen Jahr groß. Bezogen auf die Kreditinstitute denke ich dabei gar nicht so sehr an die individuelle Agenda, die jedes einzelne Institut für sich aufgestellt hat. Vielmehr geht es um die Rahmenbedingungen, die für alle Kreditinstitute und andere Anbieter von Finanzdienstleistungen maßgeblich sind. Auch der Finanzsektor unterliegt seit längerem strukturellen Veränderungen. Die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft und die grenzüberschreitende Integration der Märkte für eine immer größere Zahl von Dienstleistungen sind Auslöser dieses Wandels, und die Dynamik nimmt zu. Er erfordert zugleich neue, international harmonisierte rechtliche Rahmenbedingungen, um den grenzüberschreitenden Wettbewerb nicht zu verzerren. Somit zieht der strukturelle Wandel auch einen regulatorischen Wandel nach sich.

Das wichtigste Stichwort in diesem Zusammenhang war in den vergangenen Jahren Basel II. Dieses Regelwerk ist seit dem Jahreswechsel in Deutschland geltendes Recht. Anfang Januar hat eine Übergangsphase begonnen, die von vielen Instituten dazu genutzt wird, alle restlichen Vorbereitungen abzuschließen, damit sie spätestens zu Beginn 2008 in jeder Hinsicht fit für die neuen Regeln sind. Die meisten Institute werden, soweit bisher absehbar, den einfachen Ansatz – den Standardansatz – für die Bemessung ihrer Kreditrisiken anwenden. Die Großbanken haben erwartungsgemäß bekundet, auf die besonders komplexen Ansätze zurückgreifen zu wollen. Die hinter der Verfahrensauswahl stehenden wirtschaftlichen Erwägungen sind legitim und werden von der Aufsicht respektiert. Ebenso wichtig wie die reine Erfüllung der bankenaufsichtlichen Anforderungen ist die Katalysatorwirkung auf die Verbesserung der internen Risikosteuerung. Es ist zu hoffen, dass das Ziel international einheitlicher Wettbewerbsbedingungen – des "level playing field" – letztendlich in der Weise verwirklicht werden kann, wie sich die Baseler Initiatoren das ursprünglich vorgestellt haben.

Basel II wird nicht die einzige für den Finanzsektor bedeutsame neue Rahmensetzung sein. Auch wenn auf dem Gebiet der Bankenaufsicht zunächst keine ähnlich großen Regelungsvorhaben zu erwarten sind: Eine wirkliche Atempause können sich die Institute nicht gönnen. Neue, nicht weniger umfassende Änderungen erfordern die volle Aufmerksamkeit:

· Die Richtlinie über die Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) wird das Wertpapier- und Kapitalmarktrecht im Sinne des Anlegerschutzes und einer verbesserten Transparenz reformieren. Die Verabschiedung des deutschen Umsetzungsgesetzes im Bundestag ist für den 30. März angesetzt.

· Bereits im kommenden Monat soll die Änderung des Investmentgesetzes vom Bundeskabinett beschlossen werden.

· Der Zahlungsverkehr wird bis Ende dieses Jahrzehnts mit der Schaffung der „Single Euro Payments Area" (SEPA) im Euro-Währungsgebiet vereinheitlicht und damit auf eine neue technologische Grundlage gestellt.

· Die Umstellung von der Rechnungslegung nach HGB auf die „International Financial Reporting Standards" (IFRS) steht zumindest für die kapitalmarktorientierten Institute jetzt schon auf der Tagesordnung.

· Nicht zuletzt ist die Regulierung der Hedge-Fonds zunehmend in der Diskussion – auch auf internationaler Ebene. Gute Argumente sprechen dafür, zumindest auf eine größere Transparenz in diesem Bereich hinzuwirken.

Wie jede neue Regulierung binden diese Vorhaben Ressourcen und verursachen Kosten

– sowohl bei den Instituten und ihren Eigentümern als auch beim Regulierer selbst und damit beim Steuerzahler. Auch schränken sie einige der Geschäfts- und Gewinnchancen, die jede Marktentwicklung den Unternehmen bietet, wieder ein. Deshalb müssen vor jedem regelnden Eingriff die volkswirtschaftlichen Kosten und Risiken in Betracht gezogen werden. Ein sorgfältiges Abwägen ist bei jeder Neuregelung nötig

– egal ob auf deutscher, europäischer oder darüber hinaus gehender internationaler Ebene. Weniger ist dabei oftmals mehr. Dass eine Entbürokratisierung der Regulierungslandschaft für die Politik in Deutschland Priorität hat, hat der Bundesfinanzminister zu Beginn dieses Jahres gerade mit Blick auf den Finanzsektor erneut betont.

Auch die Deutsche Bundesbank beteiligt sich in diesem Sinne an der Diskussion um die aktuellen Regulierungsvorhaben. Zu unseren Zielen als Notenbank gehört es, einen funktionsfähigen, stabilen Finanzsektor zu gewährleisten.


Dieses Ziel steht im Nutzen aller:

Der Bürger als Anleger oder Kreditnehmer, der Unternehmen im Rahmen ihrer Finanzierung, des Staates als Träger öffentlicher Aufgaben. Deutschlands Finanzsektor hat nicht zuletzt deshalb in der Vergangenheit mit so wenigen Strukturproblemen zu kämpfen gehabt, weil die Gefahr schwerer Finanzkrisen effektiv eingedämmt worden ist. Der Nutzen dieser Stabilität für die Volkswirtschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Unter den Bedingungen der Globalisierung stellt sich einerseits die Frage nach neuen Risiken für die Stabilität des Finanzsektors. Andererseits ist auch ein Nachdenken über die Wettbewerbsfähigkeit der Institute am Standort notwendig. Um beides sicherzustellen, führt an einem internationalen Zusammenwirken und einem harmonisierten Finanzmarktrecht kein Weg vorbei.

Im vereinten Europa ist die Marschrichtung vorgegeben: Die Märkte für Finanzdienstleistungen sollen sich zu europäischen Binnenmärkten entwickeln. Dazu müssen faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Wo die Marktmechanismen funktionieren, sollen gewinnorientierte Geschäftsbanken und andere Finanzmarktakteure ihre Leistungen ungestört von staatlichen Einflüssen anbieten können. Mit dem Wegfall der staatlichen Beihilfestrukturen für die öffentlich-rechtliche Säule des deutschen Bankensystems sind in dieser Hinsicht gleiche Ausgangsbedingungen für den künftigen Wettbewerb geschaffen worden.

Wo der Markt als Allokationsmechanismus hingegen versagt, liegt das Aufgabengebiet von Förderinstitutionen, die mit öffentlichen Mitteln eingreifen. Diese klare Aufgabenverteilung ist in einem Europa des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs der einzig gangbare Weg.

Was bedeutet das für den deutschen Finanzsektor? Er verfügt über erfolgreiche, bewährte Strukturen, die sicherlich nicht grundsätzlich in Frage zu stellen sind. Sie müssen sehr wohl aber flexibel genug sein, um sich wandelnden Gegebenheiten anzupassen.

Diese Strukturen haben Positives bewirkt:

· ein grundsätzliches Vertrauen der Bürger in die Solidität der Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleister,

· eine verhältnismäßig gute Verfügbarkeit finanzieller Dienstleistungen für Menschen in allen Regionen und aus allen sozialen Schichten,

· einen intensiven Wettbewerb unter den Anbietern im Finanzsektor, der für die Nachfrager in vielen Bereichen günstige Konditionen sicherstellt.

Dies sind Stärken unseres Finanzsektors, die es – bei allem Anpassungsbedarf – zu erhalten gilt.

Wie lassen sich diese Strukturen weiterentwickeln? Um im Kostenwettbewerb bestehen zu können, führt an einer weiteren Konsolidierung kein Weg vorbei. In vielen Bereichen spielen "economies of scale and scope" eine wichtige Rolle. Größe und Volumen sind also durchaus von Bedeutung. Eine Notwendigkeit zur Konsolidierung heißt aber, dass die Zahl der Institute weiter sinken wird. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch die Zahl der Filialen weiter abnimmt. Viele Institute haben inzwischen erkannt, dass ein gut ausgebautes Filialnetz nicht nur einen Kostenfaktor darstellt, sondern für die Kundenakquisition und Kundenbindung eine wesentliche Rolle spielt. Wer sich im Wettbewerb mit den Direktbanken behaupten will, tut gut daran, die Kontakte zu den Kunden auch im persönlichen Gespräch zu pflegen.

Nach meinem Eindruck ist es vielen Instituten in den letzten Jahren gelungen, Kosten zu senken. Doch die Kosten sind nur eine Seite der Medaille. Genauso wichtig ist es, die Ertragskraft zu stärken. Gerade im Qualitätswettbewerb sehe ich eine große Chance für die deutschen Kreditinstitute und Finanzdienstleister. Viele von ihnen haben schon seit jeher ausgeprägte Kernkompetenzen, andere haben sich in den vergangenen Jahren besonders auf solche fokussiert: auf Dienstleistungen für vermögende Kunden, auf die Finanzierung des Mittelstands, auf das Retailgeschäft, auf das Geschäft in einer abgegrenzten Region oder mit einer speziellen Klientel.

Angesichts des Erfolgs solcher Geschäftsmodelle kann das Heil nicht allein in weiteren Fusionen liegen. Bereits seit einiger Zeit ist bei einer steigenden Anzahl von Finanzinstitutionen ein Umdenken zu bemerken, das in die richtige Richtung weist. Das Zauberwort heißt Kooperation – innerhalb der drei Säulen unseres Bankensystems, aber auch über Säulengrenzen hinweg. Meines Erachtens kann eine solche Strategie dazu beitragen, die eben angesprochenen Stärken zu erhalten.

Viele Unternehmen schaffen durch Auslagerung und Zusammenarbeit Win-Win-Situationen für alle Beteiligten. So können flexible, an die jeweiligen Anforderungen angepasste Geschäftseinheiten geschaffen werden. Dabei nützt es nichts, sich an Lagergrenzen festzuhalten. Wenn beispielsweise Sparkassen sich mit einem privaten Bankhaus zusammentun, um im Vermögensverwaltungsgeschäft erfolgreich zu sein, ist das ebenso zu begrüßen wie wenn eine starke Bank für die Institute des eigenen Sektors eine attraktive Lösung für das Retailgeschäft organisiert. Initiativen dieser Art dürfte es künftig häufiger im deutschen Finanzsektor geben.

Ein Weiteres erscheint mir wichtig: In Deutschland werden nur Institute langfristig wettbewerbsfähig sein können, die die Freiheit haben, sich in ihrer Geschäftspolitik gewinnorientiert auszurichten. Über ein vertretbares Maß hinaus gehende wirtschafts- und regionalpolitische Rücksichtnahmen wären kontraproduktiv. Ich rede damit keinesfalls einem ungezügeltem Shareholder-Value-Prinzip das Wort. Es ist wünschenswert und für viele Institute auch geschäftspolitisch klug, am gesellschaftlichen Leben in ihrem Land, in ihrer Region teilzunehmen und sich als Förderer und Unterstützer vielerlei Aktivitäten zu betätigen. So ist es hierzulande seit jeher üblich. Es ist auch richtig, sich als Unternehmen sozial zu verhalten im Sinne einer Berücksichtung unterschiedlichster Anspruchsgruppen.

Aber auch im Jahr 2007 gibt es keine Atempause für den Finanzsektor. Die Zeit für Veränderungen ist günstig: Die konjunkturelle Entwicklung ist hilfreich; sie hat die Lage auch auf den Märkten für Kredite und für andere Finanzierungsformen entspannt. Zugleich wird aber sichtbar, wo noch strukturelle Defizite bestehen: z.B. in der Bereitstellung von Risikokapital und bei der Kreditfinanzierung kleinster, kleiner und mittlerer Unternehmen.

Gute Vorsätze zu fassen und zu halten, ist also auch für den Finanzsektor die richtige Strategie. Es ist besser, wir agieren und gehen mit eigenen Ideen voran, als dass wir auf Entwicklungen, die wir ohnehin nicht aufhalten können, nur reagieren. Es gibt reichlich Kreativität, gute Ideen und das notwendige Selbstbewusstsein im Finanzsektor. Wir müssen uns nicht verstecken. Gerade deshalb sollten wir die Herausforderungen konstruktiv angehen und – ähnlich, wie es von der Politik immer wieder gefordert wird – auch von den gelungenen Problemlösungen anderer Länder etwas lernen.



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Textzusammenstellung: © Ermasch - Presse - Service, Schäffler,
Text: Dr. Rolf Eggert (Präsident der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank)
Fotos: © EPS-Schäffler
Quelle: Deutsche Bundesbank

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