Sehr geehrter Herr Bürgerschaftspräsident (Röder),
sehr geehrter Herr Landtagspräsident (Bluhm),
sehr geehrte Frau Ministerin Keler,
sehr geehrter Herr Senator (Dr. Freytag),
sehr geehrte Herren Staatsräte (Bonz und Dr. Heller),
sehr geehrte Frau Kreistagspräsidentin (Stein),
sehr geehrte Herren Kreistagspräsidenten (Dr. Born und Prof. Panicke),
sehr geehrte Herren Landräte (Christiansen und Leuchert),
meine Damen und Herren Abgeordnete (Bluhm, Egloff, Müller-Sönksen, Runde, Storjohann),
liebe Gäste!
Ich darf Sie herzlich zum Neujahrsempfang der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen
Bundesbank begrüßen. Herzlich willkommen heißen möchte ich Herrn Prof. Zeitler, den
Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank: Vielen Dank, dass Sie meiner Bitte gefolgt und
heute nach Hamburg gekommen sind, um zu uns zu sprechen.
Es freut mich sehr, dass heute wieder so viele Vertreter der Kreditwirtschaft anwesend sind.
Ganz besonders möchte ich Herrn Dr. Dreyer begrüßen. Er ist dieses Jahr letztmalig in seiner
Funktion als Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse hier. Herr Dreyer, ich hoffe aber
schon, dass sie trotz dieses ersten Schrittes aus dem Berufsleben auch in den kommenden
Jahren unsere Einladung hierher annehmen werden.
Meine Damen und Herren,
Jahreswechsel sind Anlässe für gute Vorsätze. Viele gute Vorsätze werden nach kurzer Zeit
wieder gebrochen – das ist eine Binsenweisheit. Manchmal jedoch sind die Umstände so
günstig oder das Erfordernis von Veränderungen so drängend, dass ein neues Jahr dann
wirklich die Chance zu einem nachhaltigen Wandel mit sich bringt. Ich wünsche uns allen,
dass dieses Jahr ein Jahr positiver Entwicklungen und erfolgreichen Handelns wird.
Für die Deutsche Bundesbank ist das Jahr 2007 ein Jubiläumsjahr. Wir sind froh, unser
50-jähriges Bestehen in einem Jahr feiern zu können, das wirtschaftlich ebenso erfolgreich zu
werden verspricht wie das vergangene. Die konjunkturellen Rahmenbedingungen für 2007
Sperrfrist: 25. Januar 2007, 11 Uhr sind positiv.
Was die Notwendigkeit zu strukturellen Änderungen in Politik und Wirtschaft
angeht, bleiben die Herausforderungen auch im neuen Jahr groß.
Bezogen auf die Kreditinstitute denke ich dabei gar nicht so sehr an die individuelle Agenda,
die jedes einzelne Institut für sich aufgestellt hat. Vielmehr geht es um die
Rahmenbedingungen, die für alle Kreditinstitute und andere Anbieter von
Finanzdienstleistungen maßgeblich sind. Auch der Finanzsektor unterliegt seit längerem
strukturellen Veränderungen. Die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft und die
grenzüberschreitende Integration der Märkte für eine immer größere Zahl von
Dienstleistungen sind Auslöser dieses Wandels, und die Dynamik nimmt zu. Er erfordert
zugleich neue, international harmonisierte rechtliche Rahmenbedingungen, um den
grenzüberschreitenden Wettbewerb nicht zu verzerren. Somit zieht der strukturelle Wandel
auch einen regulatorischen Wandel nach sich.
Das wichtigste Stichwort in diesem Zusammenhang war in den vergangenen Jahren Basel II.
Dieses Regelwerk ist seit dem Jahreswechsel in Deutschland geltendes Recht. Anfang Januar
hat eine Übergangsphase begonnen, die von vielen Instituten dazu genutzt wird, alle
restlichen Vorbereitungen abzuschließen, damit sie spätestens zu Beginn 2008 in jeder
Hinsicht fit für die neuen Regeln sind. Die meisten Institute werden, soweit bisher absehbar,
den einfachen Ansatz – den Standardansatz – für die Bemessung ihrer Kreditrisiken
anwenden. Die Großbanken haben erwartungsgemäß bekundet, auf die besonders komplexen
Ansätze zurückgreifen zu wollen. Die hinter der Verfahrensauswahl stehenden
wirtschaftlichen Erwägungen sind legitim und werden von der Aufsicht respektiert. Ebenso
wichtig wie die reine Erfüllung der bankenaufsichtlichen Anforderungen ist die
Katalysatorwirkung auf die Verbesserung der internen Risikosteuerung. Es ist zu hoffen, dass
das Ziel international einheitlicher Wettbewerbsbedingungen – des "level playing field" –
letztendlich in der Weise verwirklicht werden kann, wie sich die Baseler Initiatoren das
ursprünglich vorgestellt haben.
Basel II wird nicht die einzige für den Finanzsektor bedeutsame neue Rahmensetzung sein.
Auch wenn auf dem Gebiet der Bankenaufsicht zunächst keine ähnlich großen
Regelungsvorhaben zu erwarten sind: Eine wirkliche Atempause können sich die Institute
nicht gönnen. Neue, nicht weniger umfassende Änderungen erfordern die volle
Aufmerksamkeit:
· Die Richtlinie über die Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) wird das Wertpapier- und
Kapitalmarktrecht im Sinne des Anlegerschutzes und einer verbesserten Transparenz
reformieren. Die Verabschiedung des deutschen Umsetzungsgesetzes im Bundestag ist für
den 30. März angesetzt.
· Bereits im kommenden Monat soll die Änderung des Investmentgesetzes vom
Bundeskabinett beschlossen werden.
· Der Zahlungsverkehr wird bis Ende dieses Jahrzehnts mit der Schaffung der „Single Euro
Payments Area" (SEPA) im Euro-Währungsgebiet vereinheitlicht und damit auf eine neue
technologische Grundlage gestellt.
· Die Umstellung von der Rechnungslegung nach HGB auf die „International Financial
Reporting Standards" (IFRS) steht zumindest für die kapitalmarktorientierten Institute
jetzt schon auf der Tagesordnung.
· Nicht zuletzt ist die Regulierung der Hedge-Fonds zunehmend in der Diskussion – auch
auf internationaler Ebene. Gute Argumente sprechen dafür, zumindest auf eine größere
Transparenz in diesem Bereich hinzuwirken.
Wie jede neue Regulierung binden diese Vorhaben Ressourcen und verursachen Kosten
–
sowohl bei den Instituten und ihren Eigentümern als auch beim Regulierer selbst und damit
beim Steuerzahler. Auch schränken sie einige der Geschäfts- und Gewinnchancen, die jede
Marktentwicklung den Unternehmen bietet, wieder ein. Deshalb müssen vor jedem regelnden
Eingriff die volkswirtschaftlichen Kosten und Risiken in Betracht gezogen werden. Ein
sorgfältiges Abwägen ist bei jeder Neuregelung nötig
– egal ob auf deutscher, europäischer
oder darüber hinaus gehender internationaler Ebene. Weniger ist dabei oftmals mehr. Dass
eine Entbürokratisierung der Regulierungslandschaft für die Politik in Deutschland Priorität
hat, hat der Bundesfinanzminister zu Beginn dieses Jahres gerade mit Blick auf den
Finanzsektor erneut betont.
Auch die Deutsche Bundesbank beteiligt sich in diesem Sinne an der Diskussion um die
aktuellen Regulierungsvorhaben. Zu unseren Zielen als Notenbank gehört es, einen
funktionsfähigen, stabilen Finanzsektor zu gewährleisten.
Dieses Ziel steht im Nutzen aller:
Der Bürger als Anleger oder Kreditnehmer, der Unternehmen im Rahmen ihrer Finanzierung,
des Staates als Träger öffentlicher Aufgaben. Deutschlands Finanzsektor hat nicht zuletzt
deshalb in der Vergangenheit mit so wenigen Strukturproblemen zu kämpfen gehabt, weil die
Gefahr schwerer Finanzkrisen effektiv eingedämmt worden ist. Der Nutzen dieser Stabilität
für die Volkswirtschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Unter den Bedingungen der Globalisierung stellt sich einerseits die Frage nach neuen Risiken
für die Stabilität des Finanzsektors. Andererseits ist auch ein Nachdenken über die
Wettbewerbsfähigkeit der Institute am Standort notwendig. Um beides sicherzustellen, führt
an einem internationalen Zusammenwirken und einem harmonisierten Finanzmarktrecht kein
Weg vorbei.
Im vereinten Europa ist die Marschrichtung vorgegeben: Die Märkte für
Finanzdienstleistungen sollen sich zu europäischen Binnenmärkten entwickeln. Dazu müssen
faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Wo die Marktmechanismen funktionieren, sollen
gewinnorientierte Geschäftsbanken und andere Finanzmarktakteure ihre Leistungen ungestört
von staatlichen Einflüssen anbieten können. Mit dem Wegfall der staatlichen
Beihilfestrukturen für die öffentlich-rechtliche Säule des deutschen Bankensystems sind in
dieser Hinsicht gleiche Ausgangsbedingungen für den künftigen Wettbewerb geschaffen worden.
Wo der Markt als Allokationsmechanismus hingegen versagt, liegt das
Aufgabengebiet von Förderinstitutionen, die mit öffentlichen Mitteln eingreifen. Diese klare
Aufgabenverteilung ist in einem Europa des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs der
einzig gangbare Weg.
Was bedeutet das für den deutschen Finanzsektor? Er verfügt über erfolgreiche, bewährte
Strukturen, die sicherlich nicht grundsätzlich in Frage zu stellen sind. Sie müssen sehr wohl
aber flexibel genug sein, um sich wandelnden Gegebenheiten anzupassen.
Diese Strukturen
haben Positives bewirkt:
· ein grundsätzliches Vertrauen der Bürger in die Solidität der Banken, Versicherungen und
anderen Finanzdienstleister,
· eine verhältnismäßig gute Verfügbarkeit finanzieller Dienstleistungen für Menschen in
allen Regionen und aus allen sozialen Schichten,
· einen intensiven Wettbewerb unter den Anbietern im Finanzsektor, der für die Nachfrager
in vielen Bereichen günstige Konditionen sicherstellt.
Dies sind Stärken unseres Finanzsektors, die es – bei allem Anpassungsbedarf – zu erhalten
gilt.
Wie lassen sich diese Strukturen weiterentwickeln? Um im Kostenwettbewerb bestehen zu
können, führt an einer weiteren Konsolidierung kein Weg vorbei. In vielen Bereichen spielen
"economies of scale and scope" eine wichtige Rolle. Größe und Volumen sind also durchaus
von Bedeutung. Eine Notwendigkeit zur Konsolidierung heißt aber, dass die Zahl der Institute
weiter sinken wird. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch die Zahl der Filialen
weiter abnimmt. Viele Institute haben inzwischen erkannt, dass ein gut ausgebautes Filialnetz
nicht nur einen Kostenfaktor darstellt, sondern für die Kundenakquisition und
Kundenbindung eine wesentliche Rolle spielt. Wer sich im Wettbewerb mit den Direktbanken
behaupten will, tut gut daran, die Kontakte zu den Kunden auch im persönlichen Gespräch zu
pflegen.
Nach meinem Eindruck ist es vielen Instituten in den letzten Jahren gelungen, Kosten zu
senken. Doch die Kosten sind nur eine Seite der Medaille. Genauso wichtig ist es, die
Ertragskraft zu stärken. Gerade im Qualitätswettbewerb sehe ich eine große Chance für die
deutschen Kreditinstitute und Finanzdienstleister. Viele von ihnen haben schon seit jeher
ausgeprägte Kernkompetenzen, andere haben sich in den vergangenen Jahren besonders auf
solche fokussiert: auf Dienstleistungen für vermögende Kunden, auf die Finanzierung des
Mittelstands, auf das Retailgeschäft, auf das Geschäft in einer abgegrenzten Region oder mit
einer speziellen Klientel.
Angesichts des Erfolgs solcher Geschäftsmodelle kann das Heil nicht allein in weiteren
Fusionen liegen. Bereits seit einiger Zeit ist bei einer steigenden Anzahl von
Finanzinstitutionen ein Umdenken zu bemerken, das in die richtige Richtung weist. Das
Zauberwort heißt Kooperation – innerhalb der drei Säulen unseres Bankensystems, aber auch
über Säulengrenzen hinweg. Meines Erachtens kann eine solche Strategie dazu beitragen, die
eben angesprochenen Stärken zu erhalten.
Viele Unternehmen schaffen durch Auslagerung und Zusammenarbeit Win-Win-Situationen
für alle Beteiligten. So können flexible, an die jeweiligen Anforderungen angepasste
Geschäftseinheiten geschaffen werden. Dabei nützt es nichts, sich an Lagergrenzen
festzuhalten. Wenn beispielsweise Sparkassen sich mit einem privaten Bankhaus
zusammentun, um im Vermögensverwaltungsgeschäft erfolgreich zu sein, ist das ebenso zu
begrüßen wie wenn eine starke Bank für die Institute des eigenen Sektors eine attraktive
Lösung für das Retailgeschäft organisiert. Initiativen dieser Art dürfte es künftig häufiger im
deutschen Finanzsektor geben.
Ein Weiteres erscheint mir wichtig: In Deutschland werden nur Institute langfristig
wettbewerbsfähig sein können, die die Freiheit haben, sich in ihrer Geschäftspolitik
gewinnorientiert auszurichten. Über ein vertretbares Maß hinaus gehende wirtschafts- und
regionalpolitische Rücksichtnahmen wären kontraproduktiv. Ich rede damit keinesfalls einem
ungezügeltem Shareholder-Value-Prinzip das Wort. Es ist wünschenswert und für viele
Institute auch geschäftspolitisch klug, am gesellschaftlichen Leben in ihrem Land, in ihrer
Region teilzunehmen und sich als Förderer und Unterstützer vielerlei Aktivitäten zu betätigen.
So ist es hierzulande seit jeher üblich. Es ist auch richtig, sich als Unternehmen sozial zu
verhalten im Sinne einer Berücksichtung unterschiedlichster Anspruchsgruppen.
Aber auch im Jahr 2007 gibt es keine Atempause für den Finanzsektor. Die Zeit für
Veränderungen ist günstig: Die konjunkturelle Entwicklung ist hilfreich; sie hat die Lage auch
auf den Märkten für Kredite und für andere Finanzierungsformen entspannt. Zugleich wird
aber sichtbar, wo noch strukturelle Defizite bestehen: z.B. in der Bereitstellung von
Risikokapital und bei der Kreditfinanzierung kleinster, kleiner und mittlerer Unternehmen.
Gute Vorsätze zu fassen und zu halten, ist also auch für den Finanzsektor die richtige
Strategie. Es ist besser, wir agieren und gehen mit eigenen Ideen voran, als dass wir auf
Entwicklungen, die wir ohnehin nicht aufhalten können, nur reagieren. Es gibt reichlich
Kreativität, gute Ideen und das notwendige Selbstbewusstsein im Finanzsektor. Wir müssen
uns nicht verstecken. Gerade deshalb sollten wir die Herausforderungen konstruktiv angehen
und – ähnlich, wie es von der Politik immer wieder gefordert wird – auch von den gelungenen
Problemlösungen anderer Länder etwas lernen. |