Prof. Dr. Rolf Eggert
Präsident der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank

Zusammenarbeit in Norddeutschland

Neujahrsempfang der Hauptverwaltung Hamburg Hotel Hafen Hamburg am Montag, 6. Februar 2006

Dr. Rolf Eggert

Sehr geehrter Herr Bürgerschaftspräsident (Röder),
sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin (Holznagel),
sehr geehrter Herr Landtagspräsident (Dr. Kayenburg),
sehr geehrte Frau Ministerin Keler,
sehr geehrte Herren Staatsräte (Bonz, Dr. Gottschalck)
sehr geehrter Herr Staatssekretär (Dr. Hiltner),
sehr geehrte Frau Kreistagspräsidentin (Stein),
sehr geehrter Herr Kreistagspräsident (Dr. Born),
sehr geehrter Herr Landrat (Rappen),
sehr geehrte Abgeordnete (Dr. Bluhm, Dr. Jarzembowski, Kahrs, Klimke),

meine Damen und Herren,

heute findet unser Neujahrsempfang erstmals als gemeinsame Veranstaltung für unseren gesamten Bereich statt. Und zum ersten Mal sind wir hier übrigens auch in diesem schönen Hotel zu Gast – mit seinem wunderbaren Blick über den Hamburger Hafen und der ganzen faszinierenden Geschäftigkeit, die er einem schon beim ersten Hinsehen vermittelt.


NEON LOEWEAus dem Zusammenlegen der bisherigen drei Empfänge und der Lokalität hier am Puls der Hamburger Wirtschaft könnte man vielleicht schließen, unser Blick und unser Interesse wären nun nur noch auf die Hansestadt gerichtet. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: ich sehe das Zusammenkommen unserer Gäste aus den drei Ländern unseres Zuständigkeitsbereichs eher als Chance, sich einmal über die Belange des norddeutschen Wirtschaftsraums insgesamt auszutauschen. Und ich vermute nicht zuletzt auch aus der großen Zahl der hier Anwesenden, dass Sie das ganz ähnlich sehen.


Entsprechend liegt es nahe, heute über ein Thema zu sprechen, das in letzter Zeit immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses in unserer Region gerückt ist. Ich meine die Zusammenarbeit in Norddeutschland und dabei insbesondere die wirtschaftspolitische Kooperation.


Dahinter steht der folgende Gedanke: Mit fortschreitender Globalisierung nimmt die Vernetzung der Wirtschaftsräume zu und damit auch die gegenseitigen Abhängigkeiten. Kleinregionen werden dem Wettbewerb in Zukunft nicht mehr auf allen Gebieten für sich allein standhalten können. Anders ausgedrückt: Nicht jeder kann mehr alles für sich allein machen. Deshalb kommt es auf eine Bündelung der Ressourcen an.


Vieles spricht vor diesem Hintergrund für eine engere Kooperation zwischen den norddeutschen Ländern. Welche Bereiche könnte – oder sollte – eine solche Zusammenarbeit umfassen?


Natürlich rückt mit der Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung die Verkehrspolitik weiter ins Blickfeld des Interesses. Norddeutschland ist als Schnittstelle zwischen „alter“ EU und den neuen Mitgliedstaaten an der Ostsee in einer besonderen Position. Die starke Zunahme von Handelsströmen in der Region erfordert eine adäquate Infrastruktur. Hier ist bereits viel geschehen, nicht nur beim Ausbau der Häfen.


Allerdings besteht noch Handlungsbedarf: Die Transportwege zu Lande, zu Wasser und in der Luft müssen weiter ausgebaut werden, um auch künftig eine reibungslose Abwicklung des Warentransports, aber auch des Personenfernverkehrs zu gewährleisten. Wenig überraschend zeigen sich dabei deutliche Unterschiede innerhalb Norddeutschlands. In einer guten Position ist die Metropolregion Hamburg. Anders sieht es in den weiter von der Metropolregion entfernten Gebieten aus. Die Ausstattung mit Verkehrsinfrastruktur fällt dort insgesamt schlechter aus.


Ich will hier gar nicht verhehlen, dass in einzelnen Bereichen die norddeutschen Standorte durchaus in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Aber es gibt eben doch gemeinsame Interessen, die sich durch ein gemeinsames Vorgehen besser und nachhaltiger verwirklichen lassen. Lassen Sie mich nur die Elbvertiefung und die neue Elbquerung nennen.


Ähnliches gilt für die Strukturpolitik und die Regionalförderung. Ich denke dabei an Schritte zu einer harmonisierten Förderpolitik für länder-übergreifende Wirtschaftsräume. Zumindest bedenkenswert erscheint mir dabei der Vorschlag, die Förderung von Existenzgründungen sowie klei-ner und mittlerer Unternehmen in einer gemeinsamen Förderbank zu integrieren.


Zudem ist vor allem Mecklenburg-Vorpommern, aber nicht nur dieses Land allein durch eine Vielzahl kleinerer Unternehmen geprägt, die nur begrenzt in die internationale Arbeitsteilung eingebunden sind. Der von ihnen häufig nicht zu leistende Aufwand für Marktforschung, Marketing, rechtliche Fragen u.a.m. bedeutet für sie eine faktische Zugangsbe-schränkung auf den Auslandsmärkten. Ansatzpunkt einer länderüber-greifenden Politik sollte es hier sein, die Bündelung solcher Unterneh-mensaktivitäten zu fördern. Im Ergebnis kann der Aufwand pro Unternehmen bei der Erschließung neuer Märkte abnehmen.


Der zuletzt genannte Aspekt weist zudem auf einen Punkt, der mir sehr bedeutend erscheint: Durch ein abgestimmtes Vorgehen könnten die Länder ihre Interessen gegenüber dem Bund, aber auch der Europäischen Union besser zur Geltung bringen. Dies gilt zum einen bei der Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen. Dies gilt zum anderen aber auch für gemeinsame Positionen bei konkreten Vorhaben, z.B. in der Verkehrsinfrastruktur.


Auch der in Deutschland so dringend notwendige Bürokratieabbau ließe sich durch ein gemeinsames Vorgehen mehrerer Länder schneller voran bringen. Gerade die mittelständische Wirtschaft ist von Bürokratiekosten betroffen.


Lassen Sie mich nun noch auf einen Bereich eingehen, der eine herausragende Bedeutung hat. Ich meine die Bildungspolitik. Es zeichnet sich ab, dass die Länder hier künftig mehr Kompetenzen und damit Gestaltungsspielräume haben werden. Aber auch hier gilt das, was ich eingangs gesagt habe: Nicht jeder kann mehr alles machen. Wir müssen – etwa im universitären Bereich – Schwerpunkte setzen.


Es gibt ja durchaus schon Ansätze zur Zusammenarbeit zwischen den Universitäten, etwa zwischen Hamburg und Kiel. Die Politik sollte dies unterstützen. Eine gezielte Spezialisierung würde auch der Qualität der Forschung zugute kommen. Ich kann mir zudem eine gemeinschaftliche Evaluierung des Wissenschaftssektors vorstellen. Wir als Bundesbank haben die Initiierung eines solchen Projektes des Verbundes norddeutscher Universitäten schon unterstützt. Allerdings müsste dieser Ansatz weiter gestärkt werden – auch von politischer Seite. Darüber hinaus müssen wir stärker über abgestimmte Schritte zu einer größeren Autonomie der Hochschulen nachdenken. Es ist an der Zeit, Bildung als Wertschöpfungsfaktor zu begreifen. Und zur Erstellung dieser Wertschöpfung müssen die Hochschulen die Freiheit haben, eigene Finanzierungsquellen zu erschließen. Sei es über Studiengebühren oder über andere Einnahmequellen. Diese Einnahmen müssen allerdings den Hochschulen selbst zugute kommen und nicht etwa in die allgemeinen Landeshaushalte einfließen.


Und natürlich müssen wir in den Schulen ansetzen. Es kommt darauf an, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Leistung stärker gefördert wird. Jedenfalls können wir es uns nicht mehr erlauben, dass – ganz anders als oft vermutet – gerade in Deutschland der individuelle Bildungserfolg sehr stark von der sozialen Herkunft abhängt. Das ist nicht nur unsozial, sondern auch ineffizient. Es bedeutet nämlich, dass wir unsere Ressourcen nicht ausschöpfen und damit Wirtschaftswachstum behindern. Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen wir diese Entwicklung umdrehen. Auch hier gibt es bereits gute Ansätze. Beispielhaft will ich hier nur die Förderung von Schülern im Rahmen des Projekts „Lernwerk“ der Zeit-Stiftung in Hamburg und Rostock hervorheben.


Möglicherweise werden Sie gegen einige meiner Punkte einwenden: Das gibt es doch alles schon. Dieser Einwand stimmt zum Teil, zum Teil aber auch nicht. In der Tat ist heute manches an Zusammenarbeit in Norddeutschland möglich, was früher eben nicht möglich war. Denken Sie nur an die Zusammenlegung der Statistischen Landesämter oder der Eichämter von Hamburg und Schleswig-Holstein.


Aber mein Punkt ist ein anderer: Es kommt auf eine weitere Intensivierung der Kooperation an. Dabei geht es nicht darum, über einen Nordstaat zu diskutieren. Damit würde wohl auch eher das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, da man sofort auf viele Widerstände stieße. Am Ende bestünde die Gefahr des Alles oder Nichts.


Deshalb sollten wir den ersten Schritt auch zuerst tun und die Felder ausweiten, auf denen die norddeutschen Länder zusammenarbeiten können. Auch die Diskussion, welche Länder man darin einschließen sollte, erscheint mir nicht nur müßig, sondern sogar kontraproduktiv: Warum nicht – wenn nötig und sinnvoll – in einem kleineren Kreis beginnen und diesen später ausweiten? Ob sich daraus Formen des politischen Zusammenschlusses ergeben, wird man sehen. Die entscheidende Frage wird sein, ob die Menschen dies wollen oder nicht.


Lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen: Mit der zunehmenden Internationalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten stoßen Kleinregionen im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen. Es spricht deshalb vieles dafür, dass Bundesländer mit ähnlich gelagerten Interessen enger zusammenarbeiten. Ein gutes Beispiel hierfür sind die norddeutschen Länder, da sie gemeinsame Interessen z.B. im Bereich der maritimen Wirtschaft, der Medizin- und Biotechnologie oder auch der Nahrungsgüterindustrie verfolgen.


Für die Wirtschaftspolitik trifft dabei das gleiche zu wie für Unternehmen: Wir sollten nicht so sehr die Probleme betonen, sondern nach Ansätzen suchen, die vor uns liegenden Chancen zu nutzen. Es gibt sie genug!


In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Häusern ein erfolgreiches und dynamisches Jahr 2006. Ich hoffe insbesondere auch, dass sich die gedeihliche Zusammenarbeit im Rahmen unserer Banken- und Wirtschaftsabende in der Region noch weiter intensivieren wird.





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Textzusammenstellung:
© Ermasch - Presse - Service, Schäffler,
Dr. Rolf Eggert (Präsident der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank)

Fotos: © EPS-Schäffler
Quelle: Deutsche Bundesbank

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